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Leseprobe: "Federgrüße aus dem Himmel" von Gisela Rösch

Leseprobe: "Federgrüße aus dem Himmel" von Gisela Rösch

 

"Federgrüße aus dem Himmel"

von Gisela Rösch

Taschenbuch, 236 Seiten

ISBN 978-3-948464-01-1

 

 

 

Inhalt:

Vorwort
Bild: Feder am Himmel
Der Brief
Das Meer
Mein Sohn
Das Fahrrad
Das fremde Kind
Der erste und letzte Tanz nur mit dir
Tod im Gebirgsbach
Bild: Engelsfügel am Himmel
Der Selbstmord
Eine Feder im Café
Hinter den Vorhang schauen
Auf hoher See
Die Kreuzfahrt
Bild: Feuervogel
Christine
Baby … Blut … Birke …
Bild: Das Herz: »Baby … Blut … Birke …«
Du hast mein Haus auf den Kopf gestellt!!!
Die verbrannten Hände
Das Familien-Grab
Bild: Drachen im Wald
Schlagseite
Der rote Parker
Der Streifschuss
Die gestohlene  Feder
Bild: Die Feder im Wasser
Über die Autorin

Alle Geschichten in diesem Buch haben tatsächlich stattgefunden. Namen, Orte und eventuelle Wiedererkennungsmerkmale der beteiligten Personen wurden zu deren Schutz so verändert, dass sie nicht wiedererkannt werden können, es sei denn, es geschieht auf ihren ausdrücklichen Wunsch oder mit ihrem Einverständnis.

 

Vorwort

Herzlich willkommen zu einem Buch der ganz besonderen Art!

Alles, was Sie hier lesen werden, ist wahrhaftig geschehen. Zum Schutz der betreffenden Personen wurden Zeit, Namen und einige persönlichen Daten geändert.
Die Geschichten des vorliegenden Buches »Federgrüße aus dem Himmel« sind nicht der Fantasie entsprungen, sondern Tatsachen, die uns Menschen zeigen sollen, dass wir nicht alleine auf dieser Erde sind!

Doch zuerst, liebe Leser, möchte ich mich bei Ihnen vorstellen:
Mein Name ist Gisela Rösch, ich bin 55 Jahre alt und Mutter von drei erwachsenen Söhnen, die alle ihren Weg gehen.
Als Lebensberaterin wirke ich als Moderatorin im TV in der Schweiz und habe als Autorin die Bücher »Zugfahrt« und »Panikattacken: Der Nebel in meinem Kopf« veröffentlicht.
Zudem sind noch zwei wunderschöne Schmuckkollektionen entstanden.

Also, liebe Leserinnen und Leser: Ich bin ein bodenständiger Mensch und ich bin mir der Sorgfalt, die ich für meine Arbeit – die ja mit Menschen zu tun hat – berücksichtigen muss, sehr bewusst.
Die »dort oben« haben mir eine besondere Gabe mitgegeben: Ich lege Karten. Schon seit zwanzig Jahren habe ich dies für meine engsten Freunde und Kinder getan – doch nie für einen Fernsehsender … 
Nach einem Arbeitsunfall, der mir eine gebrochene Brustrippe, einen fast abgerissenen Mittelfinger sowie schwere Prellungen und Blutergüsse eingebracht hatte, wurde ich nach tagelangem Kranken-hausaufenthalt entlassen. Schwere Schritte folgten, meine ersten führten mich an die Mosel. Strahlender Sonnenschein – kein Wölkchen trübte den Himmel und ich nahm mir vor, einige Schritte mit meinem Hund zu laufen. Dann geschah es: Etwas brach in mir zusammen.
Mir liefen die Tränen an meinen Wangen herunter, es war mir egal, ob Spaziergänger mich weinen sahen, ob man mich kannte oder nicht. Ich realisierte meine Krise, ich war ein weiteres Mal dort, wo ich vor Jahren schon einmal gestanden hatte: kurz vor dem Aus!
Mit schleppenden Schritten, schluchzend und mit getrübtem Blick ging ich meinen Weg, blickte nach oben und schrie in den Himmel: »Was soll ich nun tun? Womit soll ich mein Geld verdienen? Wie geht es weiter mit mir? Habt ihr noch immer nicht genug von dem, was ich schon in meinem Leben durchgemacht habe? Reichen euch dort oben nicht meine Misshandlungen in der Kindheit, in meiner ersten Ehe? Reicht es euch nicht, dass meine Schwester mir den Vater meiner Kinder nahm und den Ehemann? Reicht es euch nicht, dass meine große Liebe mich betrog, belog und in den Ruin trieb? Reicht es euch nicht, dass ich drei Krebser-krankungen hinter mir habe? Reicht es nicht, dass schwerste Panikattacken mich in eine geschlossene Anstalt gebracht haben? Was wollt ihr denn noch dort oben? WAS NOCH ALLES? Mein Leben? Das kann ich euch gerne geben!«, schrie ich in den Himmel hinauf. »Habe keine Lust und Kraft mehr, mich euch zu widersetzen, keine Lust auf den Kampf des Lebens. Ich bin müde. Macht mit mir, was ihr wollt.« Und als ließe jemand aus einem Luftballon die Luft entweichen, sackte ich langsam in mir zusammen und vergaß alles um mich herum.
Bald fand ich mich weinend und zusammengekauert auf einer Wiese an der Mosel wieder. Mein Hund umkreiste mich fortwährend und winselte, so als weinte er mit mir.
»Kann nicht mehr, Filou«, flüsterte meine zitternde Stimme.
Filou fuhr mit seiner Zunge über mein Gesicht, so als wollte er sagen: »Komm, es wird schon wieder gut werden.« 
Durch meinen von Tränen verschleierten Blick sah ich durch die Baumkronen hinauf in den blauen Himmel. Dort, wo sich vor Sekunden noch  kei-ne einzige Wolke befunden hatte, sah ich ganz plötzlich etwas großes Weißes im Blau. Eine einzige große weiße Feder formten die plötzlich erscheinenden Wolken. Liebe Leser, Sie lesen richtig!
Als könne ich selbst nicht glauben, was sich dort am Himmel befand, zückte ich mein Handy und schoss ein Foto nach dem anderen. Immer und immer wieder drückte ich auf den Auslöser. Ich wusste plötzlich, dass diese Feder mir galt. Mit meiner zurückgekehrten Kraft schrie ich, den Kopf nach oben gerichtet: »Was denn? Ich habe bereits zwei Bücher geschrieben, habe nichts mehr zu schreiben!«
Und als wollte ich diese schöne Wolke einfach wegwischen, strich ich mit meiner Hand danach. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich wieder beruhigte und aufstehen konnte. Meine Augen waren gerötet und angeschwollen, kaum einen klaren Blick hatte ich, als ich meinen Weg fortsetzte.
Am nächsten Tag hatte ich eine Verabredung mit meiner besten Freundin und – na, ist doch klar – es wurden natürlich auch die Karten ausgelegt. Im ersten Moment traute ich meinen Augen nicht.
Was reden denn meine Karten hier für ein Zeug? Wen soll ich grüßen? Was für eine Feder?, schoss es mir durch den Kopf. Wenn ich Karla das sage … Die hält mich dann ganz sicher für bescheuert.
Doch dieser Mann im Kartenbild war so direkt und offensichtlich, dass es für mich unmöglich war, ihn einfach zu ignorieren. Also versuchte ich, Karla mitzuteilen, was mir dieser Mann im Kartenbild sagte.
Karla riss ihre Augen weit auf und schrie: »Woher weißt du das? Keiner Menschenseele habe ich das erzählt! Wenn das einer erfährt, bin ich erledigt!«
»Du«, antwortete ich ihr, »ich kann dir nur das sagen, was mir dieser Herr hier im Kartenbild wei-tergibt: Er lässt dich grüßen und eine Feder bekommst du bei deinem nächsten Gang zum Amt oder zur Bank.«
»Hä? Spinnst du? Woher weißt du das? Wer hat mich verraten? Ich habe morgen einen wichtigen Geschäftstermin. Wenn ich den Kredit nicht bekomme, kann ich mein Geschäft schließen.«
Mein Versuch, Karla etwas zu beruhigen, nahm einige Zeit in Anspruch. Immer wieder fragte sie mich, wer mir etwas erzählt hätte. Irgendwann wurde es mir zu bunt.
Etwas barsch schoss ich zurück: »Mensch, Karla, wir sind schon so lange befreundet und ich lege dir seit ewigen Zeiten die Karten. Immer hast du mir deine Bestätigung gegeben, dass es so ist, dass es stimmt! Was soll das nun? Ich kann fast selbst nicht glauben, was man mir über dein Kartenbild mitteilen möchte, und auch ich kenne solche Dinge noch nicht. Doch eines ist sicher: Ich vertraue meinen Karten und du solltest es auch tun.«
Karla war die Erste, der ich damals ausrichten konnte, wann eine Feder kommen würde, wo sie diese fände, wie sie aussähe, aber auch, wo sie bei ihr im Haus hingelegt werden wollte. Damals war ich fassungslos über ein solches Kartenbild. Meine Fassung habe ich zurückerhalten können, doch die Faszination über die Federgrüße aus dem Himmel hat sich bis heute gehalten – nein, gesteigert.
Und zwar ins Unermessliche. Einfach nur schön …!

Es kam, wie es kommen sollte. Eines Tages fiel mir eine Stellenanzeige als Lebensberaterin in der Schweiz in die Hände. Ich schrieb eine Bewerbung, gleichzeitig noch eine zweite. Na, dachte ich, Glück muss der Mensch haben.
Ich bewarb mich also ein weiteres Mal. Was ich nicht wusste: Beide Sender, an die ich meine Unterlagen schickte, teilen sich ein Dach. Ich denke mal, Sie ahnen es schon … Einige Nachfragen später fand ich jedoch den richtigen Sender. Den, der mir aufgrund meiner Gabe die Türen weit öffnete und dem ich jeden Tag dankbar bin.
Genauso nahm alles seinen Lauf.

Liebe Leser, ich denke, Ihnen werden diese schönen wahren Geschichten gefallen.
Dieses Buch hier hat schon am Anfang seine Besonderheit offenbart und genau diese soll mir un-vergessen bleiben. Denn dieses Buch wurde ein zweites Mal geschrieben. 42 Geschichten waren schon fertig, als ich eines Tages meinen Laptop nicht mehr hochfahren konnte. Verzweifelt machte ich mich auf den Weg in eines dieser sogenannten Fachgeschäfte, um mir dort Rat zu holen. Denn diese Geschichten, die Sie bald lesen werden, liegen mir sehr am Herzen.
Schweren Herzens ließ ich mein Gerät in diesem Fachgeschäft, fragte nach, wie lange es wohl dauern würde. Mir wurde versichert, in ungefähr vier Wochen spätestens wäre das Gerät wieder zurück – mit meinen Daten. Ein komisches Gefühl nahm in meinem Bauch Platz und ließ sich nicht vertreiben. Was war das nur, was mich so unruhig werden ließ? Erklären konnte ich es nicht, doch ich hatte ständig diese Angst im Nacken. Na, was sollte schon geschehen außer einer langen Wartezeit auf mein repariertes Gerät? Also, Gisela, sagte ich zu mir, warum sich so verrückt machen? Kein Grund zur Sorge.
Liebe Leser, ich weiß heute nicht mehr, wie oft ich mir diesen Satz immer und immer wieder sagte. Morgens, mittags, abends, in der Nacht. Oft machte ich nächtelang kein Auge zu. Immer in der Angst, dass meinem ungewöhnlichen Manuskript etwas zustoßen könnte. Nun muss ich allerdings fairerweise zugegeben, dass ich technisch eine Niete bin. Mir fällt es schwer, mit diesen neumodischen Geräten umzugehen. Auf meiner Arbeitsstelle halten sich meine Kollegen ihren Bauch vor Lachen. Grausam, dieses moderne Werkzeug …
Nun hatte es mein erstes Manuskript auf 630 Seiten gebracht, doch nicht auf eine einzige Speicherung. Es war vollkommen auf sich alleine gestellt. Mein zweites Manuskript hingegen habe ich dann so oft gespeichert, dass es irgendwann einmal in einem Mülleimer auf diesem Gerät landete. Vielleicht können Sie nun meine Aufregung verstehen.
Heute weiß ich: Damals war noch nicht die Zeit für dieses Buch. Es war von oben noch nicht freigegeben.
Doch nun ist die Zeit da und ich freue mich so sehr, Ihnen all diese wunderschönen Geschichten erzählen zu dürfen.

Meine Empfehlung an Sie: Machen Sie es sich gemütlich, holen Sie sich etwas zu trinken und ein paar Taschentücher, denn die werden Sie brauchen können.
Ich wünsche Ihnen beim Lesen dieser Geschichten viel Freude und vor allem, dass Sie den Glauben daran wiederfinden, dass wir nicht alleine sind. Egal, was immer auch geschieht.
Es sind Geschichten zu Gedanken wie: Was geschieht mit meinem Partner, meinem Kind, meiner Familie, meinen Freunden, wenn sie diese Erde verlassen haben, um nach Hause zu gehen? Ja, Sie lesen richtig. Wir gehen dann nach Hause.

Viel Vergnügen beim Lesen wünsche ich Ihnen.

Ihre Gisela Rösch

Der Brief

Eines Tages bat mich ein Arbeitskollege um Hilfe:
»Du, Gisela, hast du etwas Zeit für mich und Lust und Laune, mir mal die Karten zu legen?«
»Aber sicher, habe doch noch eine Stunde bis zur Livesendung, da können wir uns noch lange unterhalten.«
Bei der Frage meines Kollegen ging es um die Finanzen. Beim Auslegen der Karten sah ich schon, dass der Fuchs im Geheimnis lag oder dass etwas in Form eines Briefes von einer jungen Dame käme.
»Frank, du musst hier sehr, sehr aufpassen, denn hier kommt etwas auf dich zu, was dir sehr große Schwierigkeiten bereiten könnte. Es sind sogar zwei Briefe, also bitte ...«
»Gisela, da fällt mir ich nichts ein. Im Moment läuft es hervorragend.«
Also beschloss ich weiterzuschauen, denn ich war noch nicht fertig mit Auslegen. Und da war eine Nachricht von einem Herrn, die ich hereinbekam:
Hallo, hier bin ich, schau mal hin. Erzähle ihm doch bitte diese wichtige Mitteilung: Bitte achte sorgsam und peinlich genau auf deine Post!!!!
Es bringt nichts ein, immer die Vogelstrauß-Politik anzuwenden, Briefe kommen nicht an, da musst du hinschauen. Sie sind einfach verschwunden, aber sie bringen eine Menge Ärger. Ich passe gut auf dich auf, doch hin und wieder musst du selbst auf dich achten. Leider konnte ich nicht immer bei dir sein, doch sei dir sicher,  ich bin es jetzt. Nichts kann und wird mich davon abhalten, über dich zu wachen.
Ich berichtete Frank davon und fragte ihn: »Kannst du etwas mit dieser Aussage anfangen?«
»Nee, bei mir ist zur Zeit alles in Ordnung.«
»Halte es dir mal in Gedanken einfach fest.« Ich war mir sicher, irgendwann würde er diese Informationen benötigen.
 Die Beratung ging weiter und ich sah da ein großes  Projekt, was in die Öffentlichkeit gehen würde. Ich erzählte ihm alles, was ich sehen konnte, und da waren für mich einige interessante Dinge zu berichten. Manchmal denke ich: Wer weiß, für was es gut ist, genau diesen Menschen zu kennen?
Schnell verging die Zeit, Frank hörte aufmerksam zu, ohne auch nur eine Silbe von sich zu geben. Im Moment wusste ich nicht, ob ich mich freuen oder aufregen sollte. Denn es kam weder ein »Ja«, ein »Oh« noch »Das kann nicht sein«. Erst als ich Frank ansprach, was er von seinem Kartenblatt hielt, fing er langsam an, sich mir zu öffnen.
»So, Gisela …« Das  »So« hörte sich wie eine Bedrohung für mich an, wenn er nicht dieses smarte Lächeln im Gesicht gehabt hätte. Er fuhr fort. »Dann fange ich mal an. Erstens kämpfe ich, oder besser gesagt, kämpft meine Frau gegen mich. Das ist der erste Brief. Dann eine zweite Dame, mit dieser möchte ich eine neue Line eröffnen und auch ins Fernsehen gehen. Des Weiteren sind da offene Fragen, die die Finanzen betreffen.«
Unser Gespräch wurde richtig interessant und von dem Herrn, dessen Botschaft ich überbracht hatte und der ihn da grüßen ließ, war keine Rede mehr.
»Du, Frank, ich muss mich fertigmachen, die Sendung geht gleich los und die Stylisten warten sicher schon. Wir sehen und hören uns später.« Denn Frank ist in der Regie tätig.
Ich selbst klemmte mir nun alles, was ich während der Sendung benötigte, unter die Arme und wollte schon zur Türe hinaushuschen, als ich Frank hörte.
»Mensch, Gisela, ich weiß jetzt, was das heißt, ich solle auf meine Post achten. Vor einigen Monaten bin ich hier in der Schweiz viel zu schnell gefahren und man hat von mir ein tolles Foto geschossen. Gisela, dieses Foto kostet ein Vermögen. Es stimmt, in den ganzen Monaten danach habe ich Vogelstrauß gespielt. Dachte, das wird sich schon regeln, doch es wurde immer schlimmer. Deshalb habe ich diese Briefe einfach weggelegt und so getan, als wenn es sie nicht gäbe. Doch ich habe einen riesigen Ärger deswegen. Was soll ich nur tun?«
»Na, es bleibt dir nichts anderes übrig, als das Thema zu erledigen, bevor die dich dingfest machen.«
»Ich muss dir leider sagen, Gisela, da stehe ich gerade davor, es ist schon eine blöde Geschichte.«
»Tja, was soll ich da nur sagen. Schöne Grüße aus dem Himmel!«

Das Meer

»Einen schönen guten Abend, hier spricht Gisela, anonym und im Hintergrund.«
»Einen schönen guten Abend, Gisela, ich habe dein Profil gelesen und auch ich stehe zur Zeit am falschen Bahnhof und Gleis des Lebens. Dringend bin ich auf eine ehrliche Beratung angewiesen, meine Liebe.«
»Na, dann lass uns mal schauen, was in deinem Leben gehen oder kommen darf. Doch zuerst, bitte: Kannst oder würdest du mir deinen Namen verraten? Wir sind unter uns, nichts und niemand kann uns hören oder sehen.«
»Entschuldige bitte, ich heiße Lisa.«
»Hallo Lisa, ich freue mich sehr, dass du bei mir bist. Konzentriere dich bitte nur mal auf dich selbst, lass alle Gedanken, Sorgen und Bedürfnisse frei. Stelle dir einen Ort vor, an dem du gerne verweilst … Habe dich schon, vielen Dank, liebe Lisa.«
Na, das ging schon gut los. Hier sprang mir schon ein Mann entgegen, ganz aufgeregt und aufgelöst. So als wenn er mir mitteilen wollte: Gott sei Dank ist dieses edle Stück endlich da. Er selbst stand mit seinem Herzen in der Hand schon in Bereitschaft.
»Liebe Lisa, ich muss dir zuerst etwas ganz anderes mitteilen, denn die Seelen, die so zu mir kommen, lassen mich nicht in ein Kartenbild schauen, bevor ich ihre Aufgabe erledigt habe.« Unterdessen legte ich schnell noch ihr Kartenbild bis zum Ende aus.
»Lisa, ich werde versuchen, es dir eins zu eins zu übersetzten und wenn du der Meinung bist, du kannst im Moment nichts damit anfangen, bitte halte es im Kopf. Diese Grüße sind wichtig:
›Mein Herz, nur du alleine bist zurzeit der Fels in der Brandung für alle und jeden. Du bist der Mensch, der das aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis zwischen den Familien alleine wieder herstellen kann. Bleibe standhaft, sage du ihnen, wo es langgeht. Bestimme Zeit, Ort, wann die Aussprache stattfindet. Du ganz alleine, mein Herz. Bei deinem nächsten Urlaub bitte ich dich, mir in Liebe eine weiße Orchidee ins Meer zu legen, meine Liebe.
Doch ich muss dir sagen, hier ist alles in Ordnung, denn ich kann mich wieder ganz normal bewegen, so wie früher. Nein, besser, ich schwimme wie ein Fisch im Wasser.‹
Lisa, kannst du damit etwas anfangen?«
»Und ob, Gisela. Mein Mann ist vor fast genau fünfzehn Jahren im Meer ertrunken. Ich selbst fahre dieses Jahr das allererste Mal genau an dieses Meer und auch an den Urlaubsort. Mein Mann ist dort während unseres gemeinsamen Urlaubs ertrunken. Das Komische war, dass er ein hervorragender Schwimmer war und er konnte sich genau in diesem Augenblick, als er ertrank, nicht bewegen. Komisch war auch, als man ihn dann ans Ufer zog, war mein Mann starr wie ein Brett und keiner konnte sich zuerst vorstellen, was geschehen war. Nach der Obduktion stellte man fest, dass mein Mann im Wasser einen schweren Krampf gehabt hatte, der es ihm unmöglich gemacht hatte, nach Hilfe zu rufen, zu winken oder sich mit strampelnden Bewegungen bemerkbar zu machen. Er ertrank wie ein Stein. Heute ist es so, dass unsere Kinder sich ums Erbe streiten, jeder von ihnen denkt, der andere hätte mehr bekommen. Doch das macht mich ganz krank, ich kann es niemandem rechtmachen.«
 »Die Feder ist für deine Stärke gedacht, haue mit der Faust auf den Tisch, damit sie mal wieder alle wissen, wo sie sind, wer sie auf die Welt gebracht hat und wem sie alles in ihrem Leben zu verdanken haben. Lasse dir von den Kindern keine Angst machen, denn in diesem Haus bist du der Herr.
Liebe Lisa, er fragt ob es dir möglich wäre, bei deinem Urlaub eine weiße Orchidee aufs Meer zu legen. Er würde sich sehr darüber freuen.«
Lisa war ganz aus dem Häuschen.
»Gisela, das werde ich tun, denn er ist bis heute die Liebe meines Lebens und ich habe ihm so viel zu verdanken. Sehr gerne lasse ich diese Blume für ihn schwimmen.«
Es wurde noch über dieses und jenes gesprochen und ich bin immer wieder begeistert, was es für Geschichten auf dieser Erde gibt.
Schöne Grüße aus dem Himmel.

Du hast mein Haus auf den Kopf gestellt!!!

Hier und da frage ich mich, wieso man ausgerechnet mich für diesen Traumjob ausgesucht hat.
Doch egal – heute weiß ich umso mehr, dass es zwischen Himmel und Erde nichts gibt, was nicht sein kann oder was gar unmöglich ist. Die folgende ist eine dieser Geschichten, die genau dies beweist.
Meine Gassi-Runden mit Filou sind immer wieder besondere Momente. Nein, total untertrieben: Es sind die ganz besonderen Momente und so sollte es an diesem Tag wieder sein. Da ich an besagtem Tag etwas länger geschlafen hatte und mir die Zeit knapp war, beschloss ich, keine zwei bis drei Stunden mit Filou spazieren zu gehen. Unsere alltägliche Runde dauerte dieses Mal eineinhalb Stunden, doch für diesen Federgruß hätten bereits die ersten zehn Minuten gereicht. Denn der geschah gleich zu Beginn unserer Runde.
Gut gelaunt machten wir uns auf den Weg. Bei unserem Rundgang an der schönen Are kommen wir immer an großen Tannenbäumen vorbei. Ich muss immer lächeln, denn hier steht sehr oft ein junger Mann und was der raucht, riecht so gar nicht nach einer normalen Zigarette – so auch an diesem Tag. Ein freundliches Lächeln und ein »Hallo« kommt immer von ihm zurück. Kurz hinter der Stelle, an der dieser junge Mann seine »Zigarette« raucht, geht ein Weg Richtung Wasser und an dieser Stelle stehen riesige Tannenbäume. Ein schöner Anblick, denn auf der einen Seite stehen diese Bäume und auf der anderen Seite kann ich einen Blick aufs Wasser erhaschen – mit großen Wiesen und Feldern auf der anderen Wasserseite. Mein Hund darf von hier aus immer ohne Leine weiterlaufen. Ich bückte mich also, um den kleinen Stinker von der Leine zu lassen.
Rums, etwas streifte mich etwas seitlich am Kopf und fiel mir dann vor die Füße. Im ersten Moment sah es aus wie ein Knäuel aus Wolle, Stroh und alten, dunklen Federn. Da ich immer noch in gebückter Haltung war, griff ich zu. Während ich mich in die Höhe begab, drehte ich dieses Gebilde aus vielen Dingen einmal um. Es war ein Vogelnest. Erst beim zweiten Blick und in richtiger Stellung war es ganz eindeutig zu erkennen.
Ein Vogelnest!
Dieses Nest hatte nicht nur Federn, Wolle und Gras oder Stroh, nein, in der Mitte des Nestes zierte eine royalblaue Feder das Ganze. Sie war zwischen all den anderen Dingen gut sichtbar. Man hätte meinen können, sie stünde schon fast im Mittelpunkt dieses Nestes und wäre geschützt, ja, richtig eingebettet und gewebt, so als wenn jemand Angst gehabt hätte, sie könnte verlorengehen.
Einen Blick in den Himmel und dann sagte ich laut nach oben: »Na, euch dort oben genügen nicht nur Federn, jetzt kommen ganze Nester! Das kann ja dann noch heiter werden.«
Die dort oben wissen genau, wie ich das meine. Lachend setzte ich mich auf eine Bank, die ganz in der Nähe stand. Beim Anfassen dann kam die Information.
Du hast mein Haus auf den Kopf gestellt.
Du hast mein Haus auf den Kopf gestellt? Was ist das denn für ein Satz, wie ist der gemeint?
Noch auf der Bank machte ich mir so meine Gedanken. Ein aufgeräumtes Haus, wo alles umgestellt, schmutzig oder unordentlich gemacht worden war. Oder das Leben dort im Haus  hatte sich komplett verändert, von einer Sekunde auf die andere. Doch das alles wurde dann durch diese Geschichte in den Schatten gestellt.
Als wenn ich einen unbezahlbaren Schatz in den Händen hielte, so zart und doch sicher hielt ich dieses schöne Vogelnest in meinen Händen. Ganz auffällig war dieser blaue Streifen, der aber so stark eingewebt war … Das war unglaublich. Wichtig oder nur fürs Auge, ich sollte es bald erfahren. Vorsichtig drehte ich das Nest zwischen meinen Händen in alle Richtungen, schaute es mir genau an, ob es noch etwas anderes zu entdecken gäbe. Wenn ich ehrlich bin, warte ich auch immer noch etwas darauf, dass weitere Informationen kommen. Manchmal stehe ich ja nur mit einer Aussage da und schaue dann auch bestimmt komisch drein. Aber so sind die dort oben nun einmal.
»Schön, schön!« sagte ich laut. »Wenn man bedenkt, dass hier in so einem ›Haus‹ neues Leben ausgebrütet wird ... Hey, ist es das? Ist da jemand von den Socken, weil er darauf nicht gefasst war?« Mit einem lächelnden Blick schaute ich in den Himmel und sagte nur laut: »Oder was meint ihr dazu? Wäre doch toll. Denn in einem Vogelnest wird doch Leben erzeugt.«
Manchmal denke ich, wenn mich jemand hört oder sieht, muss derjenige doch denken: Die spinnt! Aber ich versichere Ihnen, das tue ich nicht. 
Im ersten Moment dachte ich noch, ich solle schon nach Hause, denn ich wollte dieses schöne Vogelnest nicht beschädigen. Doch mein Filou sprang so ungezwungen umher, dass es mir schwerfiel. Also: Wo ein Wille, da eine Idee, wie ich es heile nach Hause bringen konnte. Viele Schals zieren meinen Kleiderschrank und ich selber trage immer einen bei mir. Da sie sehr lang und breit sind, lasse ich oft Filou darauf Platz nehmen oder ich benutze sie wie eine Decke, wenn wir unterwegs sind, damit ich meine Karten legen kann. Tja und an diesem Tag wurde er einfach zum Beutel gebunden, und zwar so, dass ich ihn mir nach vorne hängen konnte. Ich hätte mir nie verzeihen können, wenn etwas nicht heil zu seinem Besitzer gekommen wäre.
Unser Spaziergang neigte sich dem Ende zu. Ich freute mich wie verrückt auf meine Sendung. Sie dürfen mir eines glauben, es sind für mich keine alltäglichen Dinge und ich weiß, dass sie ein Grund sind, warum ich meine, den besten Beruf der Erde zu haben. Ich wusste genau: Dort, wo dieses Nest seinen Platz bekäme, würde sich ein Mensch riesig freuen, so einen schönen Gruß zu bekommen.

»Fünf … vier … drei … zwei … eins …Gute Sendung!«, tönte es in mein Ohr.
»Werde ich bestimmt haben«, sagte ich zurück und war dabei schon live. »Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich Ihnen heute. Mein Name ist Gisela Rösch und meine Einwahlpin ist die 525 und wir sprechen dann live hier im TV. Doch, liebe Zuschauer, ich komme heute nicht mit einer Feder, sondern mit einem ganzen Nest. Es ist einfach nur grandios, was die dort oben mir vor die Füße, ich würde sagen, werfen. Denn beim Spaziergang mit Filou wurde mir dieses Nest vor die Füße geworfen. Die liebe Regie blendet es uns ein und ich bin mir sicher, dass Sie dieses Nest genauso wundervoll finden werden wie ich.« Das Ganze erzählte ich kurz und sagte dann nur: »Die Information dieses Nestes heißt: ›Du hast mein Haus auf den Kopf gestellt.‹ Ich habe versucht, ein Lied hierfür zu finden, doch das ist es dieses Mal nicht. Es muss also etwas anderes bedeuten und da bin ich gespannt, was für eine Geschichte dahintersteht. Was mir aber ganz besonders auffällig erscheint: Da ist eine stahlblaue Feder. Sie ist in der Mitte des Nestes so eingewebt, das man meinen könnte, hier würde gut darauf achtgegeben werden, aber vielleicht, liebe Zuschauer, ist es auch ein Erkennungszeichen in Form einer Farbe oder etwas anderes. Sie wissen doch, ich mache mir viele Gedanken darüber, doch ich habe nicht annähernd genug Fantasie, was es in Wahrheit sein könnte. Mit diesem tollen Nest hier auf meinem Tisch begrüße ich nun auch meine Kollegin im Nachbarstudio, sie wird sich nun selbst bei Ihnen vorstellen. Und wissen Sie, ich freue mich auf meinen Anrufer für diesen Federgruß. Ich sage mal: Bis später.«
Dass es über 1,5 Stunden ein Gespräch im Hintergrund geben würde, damit hatte ich nie und nimmer gerechnet. Doch innerhalb weniger Minuten kam ein Gespräch herein.
»Herzlich Willkommen, hier ist Gisela im Hintergrund. Wen habe ich denn am Telefon?«
»Hier ist …. Äh, muss ich meinen Name sagen?«
»Liebe Anruferin, gib mir doch, wenn du möchtest, einen Fantasienamen oder ein Sternzeichen, dann habe ich etwas, womit ich dich ansprechen kann. Im Übrigen sind wir im Hintergrund, niemand kann uns hören, vielleicht gibt dir das die nötige Sicherheit, um mit mir zu sprechen.«
»Oh ja, dann natürlich gerne, mein Name ist Rosa.«
»Hallo Rosa, schön, dass du den Weg zu mir gefunden hast. Womit kann ich dir eine Freude machen?«
»Gisela …« Ganz zart und fein wurde die Stimme am anderen Ende des Telefons. »Dieses Vogelnest mit der Aussage ›Du hast mein Haus auf den Kopf gestellt!‹ … Es ist meine Geschichte. Diese Geschichte möchte ich dir gerne erzählen.«
»Oh, liebe Rosa, da freue ich mich sehr drauf!« Ich weiß nicht, warum, aber ich setzte mich total bequem in meinen TV Stuhl und wusste, dass es etwas dauern würde, doch wir waren ja sozusagen unter uns.
»Gisela, ich habe schon ein etwas älteres Haus und du weißt sicher, dass das eine oder andere immer mal seinen Geist aufgibt. Oder es geht etwas kaputt und wenn man als Frau alleine durchs Leben geht, dann ist das manchmal ganz schön schwer, nicht nur finanziell, sondern auch mit Aufträgen an Handwerker. Ich denke, die riechen das und versuchen einen echt übers Ohr zu hauen. Bei mir war das ganze Haus eine einzige riesige Baustelle, du, ich wusste damals nicht, wo ich anfangen sollte. Wenn ich dir sagen sollte, was noch intakt war, dann wäre die Sache schnell geritzt.«
»Aber ich glaube, liebe Rosa, das ist bei vielen Menschen so.«
»Weißt du, Gisela, ich war schon in jungen Jahren, als ich noch zur Schule ging, immer auf mich alleine gestellt und das hat sich durch mein ganzes Leben gezogen bis zu jenem Tag, als bei mir ein junger Mann an der Türe schellte. Ich weiß es noch, als wenn es gestern gewesen wäre. Ich saß bei mir in der Stube, hatte die Beine nach oben gelegt, denn sie waren schwer und müde vom Arbeiten. Ich selbst bin seit über zwanzig Jahren selbständig und immer auf meinen Füßen. Habe einen schönen Laden, der mit den verschiedensten schönen Dingen zu tun hat, und der besondere Duft in meinem Geschäft lässt mich jeden Tag aufs Neue darauf freuen, wieder ins Geschäft zu gehen. Doch an diesem Tag sollte es ein Tag werden, Gisela, der mein ganzen Leben auf den Kopf stellte und mein Haus gleich mit. Etwas ärgerlich stand ich aus meinem Sessel auf, stellte meine Tasse Tee auf einem wackligen Tischlein ab und durchs Wackeln der ungleichen Tischbeine schwappte etwas Tee auf das Holztischlein. Ärgerlich sagte ich laut: ›Auch du bist aus dem Gleichgewicht, doch irgendwann wirst auch du repariert.‹ Fast zärtlich fuhr ich mit einem Finger über den Rand des Tisches und ging dann zur Türe. Beim Öffnen dieser schweren Holztüre gab es ein Knarren und es ging einem schon durch Mark und Bein.
›Gottes Willen, du brauchst auch Pflege.‹ Das sagte ich schon etwas barsch. ›Ja, was kann ich für Sie tun?‹
›Hallo, mein Name ist Jörg und ich bin ein Zimmermann auf Reisen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie für mich Arbeit, Unterkunft und vielleicht etwas Lohn hätten. Denn ich mache eine Weltreise und da brauche ich noch etwas Taschengeld dazu. Bin aber bereit, jede noch so kleine Arbeit anzunehmen.‹
Wie bei einem kleinen Kind huschte über mein Gesicht ein Lachen.
›Mein Gott‹,  sagte ich laut, ›Sie hat mir der Himmel geschickt. Hier gibt es in diesem Haus so viel zu tun und ich würde mich sehr darüber freuen, wenn wir uns auch preislich einigen könnten.‹
›Frau … Äh …‹
›Rosa heiße ich.‹ Es kam, liebe Gisela, so einfach über meine Lippen, als wenn ich diesen Wandergesellen schon eine Ewigkeit kennen würde. Jeder Mensch hätte Angst, einen Fremden so ins Haus zu lassen, doch etwas in mir hatte ein Gefühl … Das sagte ich ja schon. Dieser Mann wurde mir vom Himmel geschickt. Ich bat ihn in meine Stube, bot ihm eine Tasse Kaffee an, die er gerne annahm.
›Möchten Sie etwas essen, Herr Jörg.‹
›Nein, aber zum Kaffee sage ich nicht Nein.‹ 
Die Tasse stellte ich ihm dann auf dieses wacklige Tischlein und er lächelte, als er sah, dass dieses doch mal eine Schönheit gewesen war und die Tage schon seinen Tribut gefordert hatten. Beide schauten wir uns in die Augen und nickten dazu. ›Blindes Verstehen‹ sagt man dazu, oder, Gisela?«
»Du, Rosa, da kann ich dir nur beipflichten. Schön, wenn man das erkennt.«
»Ich zeigte Jörg einfach eines meiner Zimmer und sagte nur: ›Ich würde mich sehr freuen, Jörg, wenn Sie blieben.‹
Gisela, ich konnte es fast selber nicht glauben, dass diese Worte aus meinem Mund kamen. Doch es begann an diesem Tag mein Glück. Jörg schaute sich mein Haus vom Dach bis in den Keller genau an, hier und da lächelte er, sagte – oder besser, er brummte – manchmal etwas vor sich hin. Wir unterhielten uns jeden Tag ein Stück mehr, auch über private Dinge. Jörg nannte mir sein Alter und dabei stellten wir fest das er nur drei Jahre jünger war, aus wohlhabendem Haus stammte, Zimmermann von Beruf, aber dass er eine besondere Form des Lebens angenommen hatte. Dieses Sesshafte, sagte er immer, sei nicht unbedingt sein Ding. Er arbeite ein Jahr und dann ginge es wieder in ferne Länder für ein Jahr. Er habe ja keine Frau und somit sei alles unkompliziert. Gisela, wenn wir zu Abend aßen und er am Tisch frisch geduscht saß und etwas Rasierwasserduft an sich hatte, gefiel er mir von Tag zu Tag mehr. Ich glaube, ihm ging es genauso wie mir. Jeden Tag, den ich ins Geschäft von nun an ging, kam mir vor, als ob diese schönen Dinge in meinem Laden noch zusätzlich einen Glanz bekommen hätten. Ich hatte mich verliebt, doch nicht nur ich, Jörg auch. Die Arbeiten an meinem Hause gingen voran und ehrlich, ich dachte mit Wehmut daran, dass seine Abfahrt nach Thailand immer näher rückte. Mittlerweile verbrachten wir nicht nur beim Essen die Zeit zusammen, nein, auch mein Schlafzimmer teilten wir uns. Er hatte mein Haus sprichwörtlich auf den Kopf gestellt. Der Tag der Abfahrt rückte näher, noch zwei Tage, dann wäre es soweit. Komisch, an diesem Tag fuhr ich in die Stadt, obwohl ich Ruhetag hatte. Eigentlich wusste ich nicht genau, warum ich in die Stadt wollte, doch es zog mich regelrecht dorthin. Wie von einer Geisterschnur gezogen, führte der Weg mich in ein Herrengeschäft hinein und im Schaufenster dort war eine Puppe, mit einer royalblauen Weste angezogen. Sie war das Geschenk, das ich für Jörg gesucht hatte. Sie sollte ihn wärmen, sollte ihn an mich erinnern, sie sollte meinen Duft mitnehmen für Jörg, dass er mich in der Fremde nicht vergaß. Mit guter Laune fuhr ich nach Hause, Jörg hatte an diesem Tag noch einiges zu tun und in der Zwischenzeit kochte ich uns etwas Leckeres und deckte dabei festlich den Tisch. Ahnte ich etwas? Nein … Weiß nicht … Auch egal. Jörg kam pünktlich zu Tisch, strahlte. Oder bildete ich mir das nur ein? Er war doch anders.
›Du, Schatz, komm´ doch mal zu mir, bitte. Ich muss dir etwas sagen.‹
Oh je, schoss es mir durch den Kopf, ganz sicher kommt jetzt etwas, das mir nicht gefällt. Doch innerlich hatte ich mich ja schon darauf eingestellt. Bis zu Jörgs Abreise waren es nur noch Stunden.
›Du, Schatz, komm. Nimm Platz.‹ Plötzlich kniete er sich vor mir nieder. ›Schatz, ich bin als Wanderer zu dir gekommen, als Zimmermann habe ich dein Haus renoviert, doch als zukünftiger Ehemann möchte ich die Reise nach Thailand antreten. Dort habe ich noch einige Dinge zu erledigen, doch dann werde ich das erste Mal in meinem Leben sesshaft sein, bleiben und werden, und zwar mit dir. Was hältst du davon?‹
Ich stotterte nur herum, konnte noch gar nicht fassen, was mir Jörg da sagte. ›Ja. Ja … Jaaaaaaaaa!‹, schrie ich vor lauter Glück und fiel ihm dabei um den Hals. ›Ja‹, hauchte ich in sein Ohr, sein Gesicht bedeckte ich mit Küssen, wollte nicht mehr aufhören.
Jörg schob mich zärtlich beiseite und sagte nur: ›Dann haben wir einen Vertrag auf Lebenszeit. Ich stelle weiterhin dein Haus auf den Kopf und du mein Leben.‹
Hinter meinem Rücken zog ich nun das kleine in Geschenkpapier eingepackte Päckchen für Jörg hervor.
›Schatz, das soll dir Freude machen, wenn du in der Ferne bist, damit es dich wärmt, dir Geborgenheit und ein Wohlgefühl schenkt.‹
Wie ein Kind stand Jörg vor mir, lachte herzlich und riss das Papier ab. Hervor kam diese royalblaue Weste mit schönen Knöpfen.
›Hui‹, entfuhr es ihm. ›Ist die aber schick.‹ Er drückte sie an sein Herz und zog mich ganz dicht an sich heran. ›Wirst sehen, die Zeit, in der ich nicht da bin, wird wie im Fluge vergehen.‹
Oh ja, wenn ich daran nur dachte, drehte sich mir der Magen um, ganz flau wurde es mir, die Gedanken schweiften ab. Wenn er mich nun vergaß in dieser Zeit, wenn er nicht das hielte, was er mir versprochen hatte ... Gisela, Abermillionen von Gedanken, die mir Angst machten, gingen mir durch den Kopf. An diesem letzten Abend liebten wir uns, als wenn es der letzte Abend in unserem Leben wäre. Du, Gisela, bei deinen Karten sagst du manchmal: ›Es ist so, als ob der Geiger im Himmel die Musik dazu spielt.‹ Gisela, genau so!!! Jörg hasste den Abschied und bat mich einfach, in mein Geschäft zu gehen und mich darauf zu freuen, dass er mir jeden Tag schreiben würde. Das beteuerte er mir immer und immer wieder. Jeden Tag, bis er wieder zu Hause wäre. Genau das tat er auch. Pünktlich kam jeden Morgen und am Abend eine Nachricht. Tage vergingen wirklich wie im Fluge, ich hatte durch mein Geschäft auch jede Menge Arbeit, die mir von Tag zu Tag Freude machte. Jeder Tag, der verging, zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht, denn Jörg wäre bald wieder da. Auch das Thema Baby war dann in Angriff zu nehmen, denn wir waren jung und wären ganz sicher tolle Eltern geworden. Das Schicksal meinte es aber ganz anders mit uns. Weihnachten stand vor der Türe, mein kleines Geschenklädchen lief hervorragend und ich war überglücklich, denn ich sparte jeden Rappen für unser gemeinsames Leben. Die Nachrichten blieben nie aus, hier und da gab es schon mal ein paar mehr am Tag. Glücklich war ich trotzdem. Weihnachten war da, ich selbst hatte schon seit zwei oder drei Tagen immer ein komisches Gefühl im Bauch gehabt, fragte Jörg, ob alles okay sei, und immer kam zurück: ›Schatz, nicht mehr lange und ich stehe vor deiner Türe.‹
An diesem Weihnachtstag  setzte ich mich vor das TV und da kamen die schrecklisten Bilder aus Phuket und von dem Tsunami. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich aus dem Sessel, Jörg war doch dort auf der Insel. Gisela, ich kann dir nicht sagen, was bei mir alles in meinem Kopf herumging. Panik. Hände schlug ich mir vor den Mund, Schreien, Weinen, Telefon … Was sollte ich zuerst machen. Doch von Jörg hatte ich ja erst vor einer halben Stunde die Nachricht bekommen: ›Ich liebe dich!!‹  Also war sicher alles okay. Oder? Ein Tiger im Käfig, so war ich. Ich schaute mir die Bilder an und war fassungslos über die Berichterstattung im TV. Völlig erschöpft ging ich zu Bett, doch an Schlafen war nicht zu denken, kein einziges Auge machte ich zu. Nein, ich war sogar froh, als die Nacht vorbei war und ich aufstehen konnte. Bald, so gegen acht oder neun Uhr unserer Zeit, da käme dann die Meldung von Jörg. Doch an diesem Tag kam nichts. Was sollte ich denn unternehmen? Nie hatte ich gefragt, wo er dort genau wäre, nie nach seinen Eltern. Jörg hatte immer gemeint: ›Diese Snobs wirst du noch früh genug kennenlernen.‹ Es war uns beiden damals als total unwichtig erschienen, dieses ›Wo kommst du her, wer bist du und wo gehst du hin.‹ Doch in dem Moment hätte ich alles darum gegeben, genau das zu wissen. Die Feiertage vergingen. Die Arbeit nahm mich wieder in Anspruch, doch jede einzelne Sekunde seit dieser Zeit frage ich mich: Wo ist Jörg? Monate weinte ich um ihn, tröstete mich damit, dass er eine andere gefunden hätte und alles nur Lug und Trug gewesen sei. Ich verschloss die Augen vor der Wahrheit, nur so konnte ich jeden Tag aufs Neue überleben. Nach Jahren, mein Geschäft vergrößerte sich, lernte ich einen neuen Partner kennen, ja, sogar lieben. Und das, Gisela, darfst du mir glauben. Meinen Partner liebe ich mit jeder Faser meines Herzen. Mein Mann bemerkte nach einiger Zeit, dass es etwas gibt, das mich sehr oft nachdenklich macht. Auf die  Frage hin, was es sei, bat ich ihn, sich zu setzten, denn ich müsste ihm etwas erzählen. Und das tat ich auch. Keine einzige Silbe ließ ich aus und am Ende der Geschichte stand mein Mann auf, zog mich zu sich heran und sagte nur: ›Schatz, ich kann das gut verstehen. Und wenn du mal traurig bist, dann lass uns doch über Jörg sprechen.‹
Ungläubig fragte ich ihn nur: ›Bist du dir sicher?‹
Er sagte nur: ›Das ist völlig in Ordnung.‹
Liebe Gisela, ich habe heute einen Ehemann und zwei wundervolle Kinder, darunter einen Sohn, der Jörg heißt. Und das war der Wunsch meines Mannes. Heute, nach so vielen Jahren, kommst du mit diesem Nest daher und den Worten ›Hab dein Haus auf den Kopf gestellt.‹
Oft habe ich nach oben geschaut und gesagt: ›Lieber Jörg, wenn du dort oben bist und mich hören kannst, würde ich mich über ein kleines Zeichen freuen.‹ Gisela, ich bin total aus dem Häuschen.«
 Rosa und ich wir lachten nun gemeinsam.
Sag ich doch, liebe Leser ein langes Gespräch im Hintergrund, aber eine Geschichte, die wahr ist und vor allem eines beweist: Wir sind nicht alleine, egal, was auch geschieht. 
»Liebe Rosa, es fällt mir etwas schwer, etwas anderes zu sagen außer einen Dank für dieses Gespräch. Bitte rufe im Sekretariat an und gib dort deine Adresse an. Ich sende dir dann das Nest zu.«
Liebe Leser, nach einigen Tagen bekam ich ein Foto von dieser Dame mit dem Vogelnest unter einer Glasglocke. Das ist mein wundervoller Beruf!

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Textprobe: Gisela Rösch
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